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Rückschau:
15.Treffen der Jean Gebser Gesellschaft

24.10.2014

Bruno Binggeli

«Dunkle Materie, dunkle Energie – Krise der Physik oder des Bewusstseins?»

Etwas mehr Menschen als üblich hatten sich an diesem kalten Oktoberabend im Kursraum an der Münstergasse eingefunden, um dem Vortrag von Bruno Binggeli, Astrophysiker, Autor des Buches «Primum Mobile» und Mitglied der Jean Gebser Gesellschaft, zu lauschen. Im Fokus dieser überaus spannenden Stunde standen die verschiedenen Dilemmata in der modernen Physik und Astrophysik.

Krise der Physik
Gebser selbst, im «Wunderjahr» (1905) Einsteins geboren, bezeichnete die Physik als Leitwissenschaft und war der Meinung, dass die neuen Erkenntnisse der Quantenphysik auf erste Manifestationen der aperspektivischen Welt hinweisen würden. Doch, so Bruno Binggeli, obwohl die Quantenmechanik die Vorstellungen auf den Kopf gestellt und zu einem Zusammenbruch der bisherigen Überzeugungen geführt hat, hat sich seither wenig Grundlegendes verändert, und die fundamentale Physik steckt heute in einer tiefen Krise. In der Astrophysik äussert sich dies in den Problemen mit der sogenannten Dunklen Materie und Dunklen Energie.

Was ist die «Dunkle Materie»? Die Idee der Dunklen Materie geht zurück auf den Glarner Fritz Zwicky, der in den dreissiger Jahren des 20. Jahrhunderts in Galaxienhaufen Geschwindigkeiten gemessen hat, die sich nicht allein durch die Bewegungen der sichtbaren Sterne erklären liessen. Daraus leitete er ab, dass sich in diesen Haufen Massen «verstecken» mussten, die sich allein durch ihre Auswirkungen bemerkbar machen, die spätere «Dunkle Materie». In den 70er Jahren wurden diese Beobachtungen wieder aufgegriffen. Die heute übliche Hypothese in der Astrophysik ist, dass alle Galaxien in riesige dunkle Halos eingebettet sind – aber niemand weiss, was genau das ist: Gas, erloschene Sterne oder schwarze Löcher können es nicht sein. Das heutige Mainstream-Modell geht von kalten (d. h. praktisch bewegungslosen), verklumpten Elementarteilchen aus, deren Verteilung man sogar studieren kann. Das Problem ist, dass man diese exotischen Elementarteilchen bis heute nicht detektiert hat und sich die Verklumpungen in den Galaxien eigentlich bemerkbar machen müssten, was sie nicht tun!
Eine neuere Vorstellung, die modifizierte Newtonsche Dynamik (Mond), setzt beim Gravitationsgesetz von Newton an und stellt dessen Gültigkeit insbesondere bei schwachen Beschleunigungen in den Zwerggalaxien in Frage. Das Problem ist hier, dass in der Kosmologie, in der Wissenschaft über die Entstehung des Universums, die modifizierte Newtonsche Dynamik nicht funktioniert, hier passt die Hypothese der Dunklen Materie viel besser.
Fazit: Physikalische Erklärungen und Gesetze gelten anscheinend nur für Teilbereiche – und das ist ein generelles Problem der heutigen Wissenschaft auf der Suche nach einer «Weltformel».

Probleme stellt auch die Beobachtung einer beschleunigten (statt gebremsten) Expansion des Universums in der Kosmologie. Auch hier muss zur Erklärung auf die Hypothese einer unsichtbaren Energie zurückgegriffen werden, die sog. Vakuumsenergie oder Dunkle Energie, die wie eine abstossende Kraft wirkt, aber was diese Kraft ist, bleibt völlig rätselhaft. Und dass in unserem Universum die Bedingungen für die Entstehung von Sternen, Planeten und Leben «gerade richtig» sind, lässt sich zwar durch die hypothetische Existenz unendlich vieler Paralleluniversen als «Zufall« weg­erklären, aber das befriedigt auch nicht wirklich. Selbst in der Teilchenphysik zeigt sich, trotz erfolgreicher Jagd nach dem Higgs-Teilchen am CERN, dieselbe Geschichte: Letztlich sind die Ergebnisse enttäuschend, die Physiker werden immer nervöser, sprechen von einem Theoriestau – man stösst an Grenzen, die man mit einem Riesenaufwand an Einsatz und Forschungsgeldern zu überwinden (oder zu übertünchen) sucht.

Der Sirenengesang in den Wissenschaften
Natürlich sehen nicht alle Wissenschaftler in den Erklärungsansätzen der Dunklen Energie oder der Dunklen Materie ein Problem – viele glauben, dass diese Fragen in 10 oder 20 Jahren gelöst sein werden. Doch für Bruno Binggeli gleicht die Vorgehensweise in der modernen Physik immer mehr dem Flicken eines löchrigen Gewebes: Wo ein Loch gestopft wird, geht daneben ein zweites auf.


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Vielleicht, so Bruno Binggeli, gibt es für diese Dilemmata eine einfache, aber tief liegende Ursache, und er greift im Anschluss auf Formulierungen von Jean Gebser zurück. Vielleicht, so seine Hypothese, haben die Probleme damit zu tun, dass sich das mental-rationale Bewusstsein das Magische in seinen Dienst stellt. Wenn Wissenschaft mathematisiert wird, wird sie mit magischem Bewusstsein infisziert. Die heutige Physik sucht die Weltformel: das ist Magie! Die Vereinheitlichung, die Mathematisierung der Natur – Magie!
Interessanterweise zeigt sich diese Verbindung von Mentalem und Magischem schon zu Beginn der mentalen Bewusstseinsstruktur bei den Pythagoreern. Für sie waren Zahl und Harmonie Grundlagen des Kosmos, in der Sphärenmusik vernahmen sie den Einklang des Universums. Aber schon damals stiessen die Pythagoreer mit der Entdeckung der irrationalen Zahlen auf ein unlösbares Problem, ebenso in der Musik bei der Suche nach der «richtigen« Tonleiter, wo es nie ganz aufgehen kann. Dafür steht das sog. Pythagoräische Komma, die Differenz von einem Achtelton zwischen sieben Oktaven und 12 reinen Quinten. Dieses pythagoreische Komma hat eine entfernte Entsprechung in dem 1931 von Kurt Gödel aufgestellten Theorem, wonach es in logischen Systemen, wie z. B. in der Mathematik, Aussagen geben muss, die man weder formal beweisen noch widerlegen kann.
Auch Gebser verbindet Mathematik und Musik mit Magie. Dazu zitiert Binggeli die folgende, auch köstliche Stelle aus «Ursprung und Gegenwart. Band II» (S. 479 in der Novalis Gesamtausgabe):

«Übrigens ist die bekannte Disponiertheit vieler Mathematiker für die Musik ein zusätzlicher Hinweis auf das magische Kolorit dieser Wissenschaft; und die sattsam unter Beweis gestellte Unduldsamkeit, welche viele Mathematiker, so wie ausser ihnen nur noch die Musiker auszeichnet – falls das eine Auszeichnung ist – , ist symptomatisch für den Herkunftsbereich ihres Arbeitsgebietes: nur das Magische kennt den Fanatismus...»
Der Gesang der Sirenen verführt zum Tode – das wird in der Odyssee bildkräftig erzählt. So kann man den Gesang der Sirenen als magisches Element im aufsteigenden mentalen Bewusstsein bezeichnen. Mit Hilfe von Mathematik Einheit erzwingen wollen: das ist der Sirenengesang, dem die Physiker ausgesetzt sind. Und der grösste Sirenengesang in der heutigen Zeit, das sagt Bruno Binggeli in der Diskussions­runde, ist für ihn das Internet. Das Internet vernichtet Raum und Zeit: das ist reinste Magie! Und es greift von aussen in unser aller Leben ein.

Doch die Einheit hat mit uns zu tun, mit uns Menschen. Vergeblich sucht man sie im Aussen – es kann sie nur mit uns geben. In der magischen Einheit ist man in einem schlafenden Bewusstsein mit der Welt vereinigt, Diaphanität aber heisst wache, bewusste Einheit. Dies gelingt nur dann, wenn verdrängte Strukturen wieder ins Bewusstsein gebracht werden. In der Wissenschaft ist durch die Mathematik das magische Element immer präsent, wenn auch nicht wirklich bewusst. Doch ebenso notwendig ist es, die effiziente mythische Struktur zu integrieren, bevor der Sprung ins Integrale gelingen kann. Auch für sie gibt es in der griechischen Mythologie ein Bild: die Musen. Der Gesang der Musen, der Schutzgöttinnen der Künste: er belebt die Dichter, die Künstler, die Kreativen. Dieses Element müsste, so der Schluss von Bruno Binggelis Vortrag, bewusst wieder in die Wissenschaften eingebracht werden.•

Eva Johner

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