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Anna Stüssi
Ludwig Hohl. Unterwegs zum Werk.
Eine Biographie der Jahre 1904–1937
.

An der Herbsttagung 2012 der JGG hat sich Rudolf Hämmerli am Samstagvormittag im Gespräch mit Anna Stüssi über ihre Arbeit am Werk von Ludwig Hohl unterhalten.
In der Zwischenzeit ist ihr Buch erschienen. Nachstehend in Anna Stüssis eigenen Worten eine kurze Beschreibung des «Lebenlernenden» Ludwig Hohl.
Wir werden später auf das Buch zurückkommen und auch noch die Einleitung zum Buch vorstellen.


Mit meiner Biographie von Ludwig Hohl leuchte ich hinein in das Leben und Werden eines Schwierigen, dem lange nicht klar ist, wer er ist und wozu er geboren ist. Auf langen Wegen im Ausland, in Paris und Marseille, in Bergdörfern, in Wien und den Haag lernt er sich und das Leben kennen und notiert in unzähligen Notizbüchern, was er hört und sieht, in der Welt draussen und in der Welt innen. Langsam klärt «es» sich, er wird ein «Lebenlernender», der seine Gipfelsehnsüchte und Willensleistungen mildert und die Gesetze des Wachstums zu respektieren beginnt, die mit ihm ihre eigenen, langsamen Umwege gehen. Gerne hätte er einen Roman über die orientierungslose «Gesellschaft», die parlierend und trinkend in den Montparnasse-Cafés sitzt, geschrieben – am Ende sieht er sich in einem sich ständig ausweitenden Netz von «Notizen» und erkennt darin seine Begabung und die notwendige Form für sein Denken. Dieses ist nicht nur etwas Mentales, es ist der Prozess aufmerksamen, produktiven Lebens, das sich aus dem Weltchaos und dem innern Durchein­ander herausarbeitet und eine sichtbare, an ein Du gerichtete Form annimmt. Bisweilen klärt es sich bis zur fast mystischen Einsicht und bildhaften Schau ins Zeitfreie, jene Dimension, die Hohl von Kindheit an als «Ursprung» in sich spürt. Es ist letztlich die «Heimat», zu der er in langem Exil unterwegs ist, auch noch in der zweiten Lebenshälfte, als er in Genf sesshaft wird.

Weil Hohl viele Aufzeichnungen und unzählige Briefe aufbewahrt hat, konnte ich die erste, abenteuerliche, Hälfte des Leben aus den schriftlichen Quellen herauslesen und, ohne viel dazuzutun, als erschütternden, zum Weinen und Lachen bringenden Roman erzählen. Auch wenn Hohl stark mit sich beschäftigt ist, seine Lehr- und Wanderjahre sind verknüpft mit der Zwischenkriegszeit und dem in allen Ländern sich ankündigenden Unheil. Nicht zuletzt ist Hohls Biographie ein Knotenpunkt vieler anderer Biographien, dank grossartiger Briefe vergessener Frauen und Männer, an die zu erinnern sich lohnt. Mir wurde bewusst, welch hohen Wert die Freundschaft, die fordert, unterstützt und mit Kritik konfrontiert, für Hohl hatte. Ohne Freunde, die mit ihm den Zweifel aber auch den Glauben an den Sieg des Lebens über die tödliche Zeit teilten, hätte Hohl nicht immer wieder einen produktiven Ausweg aus auswegloser Lage gefunden.

Anna Stüssi

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