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Klaus-Peter Jörns: Update für den Glauben –
Denken und leben können, was man glaubt

 
Man wird zunächst einmal stutzig, wenn man den Titel liest. Was hat dieser der Computersprache entnommene technische Begriff mit Theologie, mit Glaubensfragen am Hut? Darf man ihn in diesen Zusammenhängen gebrauchen – vor allem aber: Was will der Autor Klaus-Peter Jörns, Theologe und Theologieprofessor, damit ausdrücken?

Gleich eingangs erklärt uns Jörns, wie er diesen Terminus verstanden haben will. «Update» heisst in der Computersprache: etwas auf den neusten Stand bringen. Nicht das Betriebssystem wird dabei ausgewechselt, aber es erfolgt eine Anpassung gewisser Elemente an die Bedürfnisse der Gegenwart. Und in diesem Sinn, meint der Autor, sei der Begriff durchaus anwendbar, wenn nach dem Gegenwartsbezug der biblischen Urkunden und der Aktualität des (christlichen) Glaubens gefragt werde.

Und nach dem Autor gibt es viel zu updaten, denn ohne aktuellen Lebensbezug erstarrt der Glaube in dogmatischem Rechgläubigkeitsanspruch. Ich greife ein paar wesentliche Punkte seiner neuen Sicht heraus:

  • Es gibt wohl «Heilige Bücher», aber diese bezeugen die jeweiligen Zugänge zu Gott, nicht mehr. Auch unsere Bibel gehört zu den so genannt «heiligen Schriften», aber sie ist nicht Schrift gewordene Wahrheit schlechthin, sie ist nicht «Gottes Wort" im Sinne einer Verbalinspiration. Heilige Schriften sind perspektivische Wahrnehmungen Gottes. Jeglicher Fundamentalismus oder Biblizismus muss in diesem Zusammenhang strikte abgelehnt werden.

  • Jörns unterstreicht das Prinzip des Werdens. Die Schöpfung – inklusive der Mensch – ist noch nicht zu Ende. Keine der Religionen hat bei Null angefangen. Religionssysteme beeinflussen sich gegenseitig, bauen aufeinander auf. Kategorien wie «Heiden», «Christen» müssen aufgegeben werden. Gerade das NT hat zahlreiche Vorstellungen von ausserjüdischen Quellen übernommen, so z.B. aus dem ägyptischen Raum. – Im Zusammenhang mit der Frage «Schöpfung oder Evolution?» formuliert Jörns: Schöpfung geschieht immer durch und als Evolution.– Und hier ist es denn auch, wo Jörns auf Gebser zu sprechen kommt (eher selten für einen Theologen!): «Gebsers Erkenntnisse könnten für den Glauben von grosser Bedeutung sein» – im Hinblick auf das Verständnis der biblischen Urkunden und auf eine integrale Weiterentwicklung der religiösen Vorstellungen.

  • Von entscheidender Wichtigkeit war der Übergang vom Alten zum Neuen Testament. Die Möglichkeit zu einem neuen Gottesverständnis eröffnete sich, bot sich an. Es wurde aber gerade in den Kirchen kaum ergriffen. Der eifernde, rächende und z.T. lebensfeindliche alttestamentliche Gott ist in unseren Kirchen und Predigten immer noch präsent – trotz Reformen und modischen Anpassungen.

  • Jörns plädiert dafür, die «Deutungshoheit» der apostolischen Tradition, die im Wesentlichen auf den Apostel Paulus zurückgeht, zu überdenken. Denn die paulinischen Erlösungs-, Sühne- und Opferlehre überlagere bis heute die Botschaft Jesu, wie sie in den Evangelien vorliegt. Jesu Botschaft von der bedingungslosen Liebe Gottes zu seinen Geschöpfen kann als eigentliche «Frohbotschaft» verstanden werden, bei der nicht Sünde und Höllenangst im Vordergrund stehen, sondern das Vertrauen. Auch die auf Augustinus zurückgehende Lehre von der Erbsünde müsste endlich überwunden werden, weil nicht kompatibel mit dem Menschenbild Jesu, wie es in den Evangelien zum Ausdruck kommt, ebenso wenig wie die Tatsache, dass das Frausein von der Kirche durch Jahrhunderte hindurch mit dem Sündigen (Sexualität!) und Bösen identifiziert wurde. Alle versteckten oder offenen patriarchalen Machtverhältnisse stehen einem heutigen Glaubensverständnis diametral entgegen.

  • Für den Theologen Jörns ist das Christentum keine Erlösungsreligion, sondern eine Religion der Liebe. Er glaubt an eine fortschreitende Menschwerdung des Menschen – unter dem Einfluss eines göttlich-geistigen Prinzips, das die eigentlich schöpferisch-evolutionäre Potentialität darstellt. Kriterien für ein Christentum der Zukunft (und für alle ausserchristlichen Religionsformen) sind Kooperation, Gerechtigkeit und Liebe. Jegliche Religionsform ist an ihrer Friedensfähigkeit zu messen. Schliesslich thematisiert Jörns auch das Verhältnis Mensch – Tier: Wo bleibt die Bruderschaft mit den Geschöpfen?

Ich habe Klaus-Peter Jörns Buch mit Gewinn gelesen. Seine Sicht ist radikal; er räumt mit vielen unhinterfragten Glaubensvorstellungen auf. Bisweilen fordert er freilich auch zum Widerspruch heraus. Kritik an Jörns Konzept wird es von verschiedenen Seiten geben: von der Theologengilde, die ihm vorwerfen wird, er passe sich mit seinen Forderungen zu sehr dem Zeitgeist an; von freikirchlichen Kreisen, für die eine Relativierung der biblischen Aussagen ein Tabu ist. – Das mutige, notwendige Buch sei allen Menschen empfohlen, die sich Gedanken machen über die Zukunft des Religiösen.

Zur Person:
Klaus-Peter Jörns war zehn Jahre Gemeindepfarrer, dann in der Vikarsausbildung tätig. Von 1981–1999 vertrat er das Fach Praktische Theologie an der Kirchlichen Hochschule und ab 1993 an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität Berlin. Nach seiner Emeritierung gründete er 2012 mit Freunden die «Gesellschaft für eine Glaubensreform».

Christian Bärtschi

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