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Ein Suchender

lx. Jean Rodolphe von Salis nannte Jean Gebser (1905–1973) einen «Sucher und Forscher in den Grenz- und Übergangsgebieten des menschlichen Wissens und Philosophierens». Schon in dieser Formulierung klingt an, dass es sich bei Gebser um einen eigenwilligen Denker handelte, dessen Leben und Werk nicht unter dem Stern der Zugänglichkeit standen. Der Grazer Philosophiehistoriker Elmar Schübl ist in seiner eben erschienenen Dissertation Gebsers Lebens- und Denkweg gefolgt und hat, was bisher fehlte, eine gewissenhafte Biographie des Schwierigen erarbeitet. Geboren 1905 im damals preussischen Posen und durch widrige Umstände von einem eigentlichen akademischen Studium abgehalten, wird Gebser zu einem Dichtenden, Reisenden und Suchenden. Sein Leben ist gekennzeichnet von vielen Ortswechseln und ausgedehnten Reisen, ebenso aber auch von intensiven Kontakten zu namhaften Intellektuellen und Persönlichkeiten seiner Zeit, darunter Adolf Portmann, Werner Heisenberg, C. G. Jung und J. R. von Salis. Das von Schübl verfasste Lebensbild berücksichtigt zahlreiche Briefe und Dokumente aus Gebsers Nachlass, der im Schweizerischen Literaturarchiv in Bern einzusehen ist. Gebser, zeitlebens ein Aussenseiter auch in der akademischen Welt, hat ein umfangreiches Werk hinterlassen, das im Anhang der Arbeit detailliert verzeichnet ist.

Neue Zürcher Zeitung FEUILLETON Samstag, 03.05.2003 Nr.101 68


«Gebsers Leben ist ein einnehmendes Spiegelbild des 20. Jahrhunderts, das Jean Gebser vom wilhelminischen Deutschen Reich über die Weimarer Republik, den Aufstieg Stalins und Hitlers und den Fall des «Dritten Reiches» bis in die Konfrontation des Kalten Krieges aufmerksam verfolgte und das ihm sowohl an der Peripherie in Spanien als auch im Zentrum Europas stets tief in sein Leben einschnitt. [...] Historiker werden in diesem Buch vielfach wertvolle Quellen aus der Sicht eines unkonventionellen Beobachters des politischen und künstlerischen Umfeldes seiner Zeit finden, dessen besonderer Wert gerade darin besteht, dass Gebser kein Politiker, kein Militär, kein Gestalter war, ohne auf tragische Weise, wie Millionen andere, Opfer zu werden.»

Alexander Bayerl in «Österreich in Geschichte und Literatur»

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