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Andreas Schertenleib



Ich wurde an der Schauspiel Akademie aufgenommen und entdeckte in den intensiven Jahren in Zürich, dass mich an erster Stelle das Erfinden von Geschichten interessiert. So schlug ich mich nach Abschluss als Theaterpädagoge durch und wollte ein freier Schriftsteller werden. Dieser Traum erwies sich als Illusion. Finanziell und psychisch erlebte ich ein paar prekäre Jahre. Schliesslich entschied ich mich, das gelernte Handwerk mit meinen Wunsch nach eigenen Geschichten zu verbinden und begann Stücke für mich selber zu schreiben.
Mit dreissig lernte ich meine Frau kennen. Als 1993 unsere erste Tochter auf die Welt kam, wusste ich, dass ich ab jetzt mit der Hälfte der Zeit doppelt soviel Geld verdienen musste. Aus einem inneren Bedürfnis heraus wollte ich nämlich den Haushalt und die Erziehung der Kinder mit meiner Frau teilen. Dies erlebte ich dann auch als etwas, das fraglos Sinn machte; es erwies sich als gute Ergänzung zu meiner Arbeit als Theatermacher, die ich immer wieder in Frage stellte und stelle, weil ich durch sie mit meinen existentiellen Ängsten konfrontiert werde.

Als ich 2004 auf der Bühne des Lebens mit dem Theaterpreis des Kantons Solothurn viel Anerkennung bekam und trotzdem die Not auf meiner inneren Bühne blieb, erzählte mir mein Freund Christophe Frei auf einem unserer langen Spaziergänge von seinen Erfahrungen bei Burkhardt Kiegeland. Als ich mich dann auch für ein Seminar anmeldete, war Christophe im ersten Moment erstaunt. Er hatte gedacht, dass ich meine Selbsterforschung in meiner Theaterarbeit betreibe.




 




Doch meine Sehnsucht war gross, nicht nur auf Theaterbühnen Momente von beglückender Präsenz zu erleben, sondern auch in meinem Alltag. Mir war intuitiv klar, dass es mit Burkhardt als spirituellem Lehrer noch einmal ganz neue Seiten an mir zu entdecken gab, und dass ich mit meinem Wunsch nach mehr Verbundenheit mit mir und der Welt bei ihm am richtigen Ort war. Als Glücksfall erwies sich, dass meine Frau und ich uns gemeinsam auf diesen Weg machten, so dass auch in unserer Beziehung mehr Verbundenheit entstehen konnte. Wir gingen auch nach den zwei Jahren, die das sogenannte Jahrestraining dauerte immer wieder auf den Balzenberg, wo Burkhardt sich in der Zwischenzeit niedergelassen hatte und unterstützten ihn als Assistenten, aber auch ganz praktisch, sei es beim Holzen oder beim Bau eines Seminarhauses.

Als Burkhardt 2016 unerwartet starb, schien der angefangene Weg abrupt zu einem Ende zu kommen. Wir Schüler konnten uns zunächst nicht vorstellen, dass die Herzarbeit ohne unsern Lehrer weitergehen könnte. Mehr noch, für viele war es ein Sakrileg, dies überhaupt zu denken. Als dann aber Christophe Frei seine Vision mitteilte, die Arbeit von Burkhardt als Team weiter zu führen und weiter zu entwickeln, war ich sofort mit Begeisterung dabei.
Dies schien mir ein lohnender Versuch, hatte ich mich doch an der autoritären Struktur bei Burkhardt manchmal auch gerieben und mich gefragt, ob sie wirklich unabdingbar sei, oder ob die Zeit reif sein könnte für eine neue Form. Bei dieser Forschungsarbeit und bei der Entwicklung von etwas Neuem wollte ich unbedingt dabei sein. Allerdings sah ich mich zunächst nicht als Mitglied des Leitungsteams, da ich keinen therapeutischen Hintergrund habe; doch im Verlaufe des «Labors» merkte ich dann, dass mein künstlerischer Zugang zu den Fragen des Menschseins, meine Experimentierfreude und meine spielerische Herangehensweise an die Inhalte und Methoden der Herzarbeit ein grosses Potential für unser Vorhaben darstellten.





Und ich merkte, dass mein kritisches Nachfragen und mein genaues Hinschauen in diesem Zusammenhang erwünscht waren und sich als gutes Werkzeug erwiesen. Und so sagte ich von ganzem Herzen ja, als sich zeigte, dass ich ganz einfach zu diesem Leitungsteam gehöre. Jetzt bin ich neben meiner Theaterarbeit - die ich zwar immer noch immer wieder in Frage stelle, um mich dann doch auch immer wieder dafür zu entscheiden (ein Freund hatte mir einmal in einem Brief geschrieben: «Ich bin überzeugt, dass es dir einmal mehr gelingen wird deine Angst zu umarmen!») – so bin ich also jetzt auch Teil des Herzwärts-Projektes, das sich in kurzer Zeit erfreulich entwickelt hat und einen wesentlichen Teil von meinem Leben bestimmt und wohl noch viele Jahre bestimmen wird. Ich freue mich darüber, hatte mir doch Burkhardt kurz vor seinem Tod aufgezeigt, dass ich mich als Rebell zwar immer im Recht fühle, dafür aber den Preis zahle, dass ich nicht mitgestalten kann, weil ich so immer aussen vor bleibe.

Seit fast drei Jahren bin ich also jetzt schon mittendrin in diesem gemeinschaftlichen Projekt und erfahre, dass mein lang gehegter Glaubenssatz «Ich kann meine Anliegen nur verwirklichen, wenn ich es allein mache» durch die Herzwärts-Arbeit widerlegt wird. Und ich merke immer wieder, wie viel Freude und Lebendigkeit entsteht, wenn wir im Team etwas entwickeln und gemeinsam nach Lösungen suchen. Auch die Identifikation damit, dass ich einer bin, der immer alles radikal in Frage stellt, relativiert sich: Durch das Aufgehoben-Sein in einer Gruppe kann ich meine Zweifel auch mal sein lassen. Und in der Rolle des Leitenden erfahre ich Klarheit und Kraft und erlebe auch auf dieser Bühne eine beglückende Präsenz. So weiss ich jetzt, dass 'Macht haben' nicht per se schlecht ist, wie ich lange Zeit glaubte, sondern, dass ich als Leitender ganz einfach Verantwortung übernehme, und dadurch in der Gegenwart eine Aufgabe und eine Bedeutung habe und etwas mitgestalten kann, das in die Zukunft weist.

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