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Rückschau:
14.Treffen der Jean Gebser Gesellschaft

21.03.2014

Michael Högger

«Verändert sich das Bewusstsein, so verändert sich die Architektur – oder umgekehrt!»

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Der Referent Michael Högger, 1968, Architekt, Mitglied der Jean Gebser Gesellschaft, lebte im Vorschulalter während vier Jahren in Kathmandu, Nepal. Sein Vater übernahm dort anfangs 1970 eine Aufgabe in der Entwicklungshilfe. Für seine Mutter sei es ein bewusster Entscheid gewesen, mit Michael und dem jüngeren, nur  8 Monate alten Bruder ins Ausland zu ziehen. Die Familie hat dann dort auch noch ein nepalesisches Mädchen adoptiert und gross gezogen. Michael lernte – während der frühkindlichen Phase der Sprachaneignung – nebst dem elterlichen Schweizerdeutsch im Umgang mit andern Kindern in der Nachbarschaft und im Kindergarten Nepali und Englisch.

Vielleicht haben ihm diese vier Jahre in Nepal – aus der Sicht des Chronisten – den Zugang zu einer noch anderen Welt als derjenigen der Schweiz und des Westens geöffnet. Michael Högger beschäftigte sich schon früh mit der Frage nach dem Grund und Hintergrund der Dinge. Als Schlüsselerlebnis bezeichnete er die Lektüre des Buches «Der epochale Winter» von Hanspeter Padrutt.

Ein Mandala nicht alltäglicher Art breitete Michael Högger in seinem Vortrag vor uns aus. Er beginnt mit einer Geschichte, auf die er auch im Laufe des einstündigen Vortrages immer wieder zurückkommt. Weiter streut er Begebenheiten und  Anekdoten aus seiner beruflichen Tätigkeit als Architekt mit Zusatzausbildung in Baubiologie ein.
Es ist die Geschichte des Mannes Urs, der, nach dem Verlust seiner Frau durch Krebs, den Architekten beauftragte, das bestehende Einfamilienhaus so umzugestalten, dass es seiner neuen Lebenspartnerin entsprechen würde.

In didaktisch geschickten Schritten breitet Michael Högger in der Folge Blatt um Blatt mit Informationen vor uns aus: Karikaturen, Bücher, Blätter mit Wörtern, die Wegmarken in seinem Denken, Fühlen und Handeln darstellen. Die beiden Extrempositionen bilden die Begriffe aus dem Vokabular von Jean Gebser: «perspektivisch» und «aperspektivisch».
Er erläutert seinen Weg, als Mensch und als Architekt, anhand von anschaulichen Beispielen. In jungen Jahren wollte er inspiriert von der Berner Szene «Zaffaraia» die Welt verbessern; er sah alles tendenziell nur schwarz und weiss und träumte von einer «Ganzheitlichkeit» – die er dann leider nicht fand, was er als «meinen epochalen Winter» bezeichnete. Er scheint sich schon sehr früh bewusst geworden zu sein, dass die Art und Weise, wie hier im Westen gelebt und gearbeitet wird, nicht der Weisheit letzter Schluss sein kann.

Er zeigt uns zur Illustration zwei Karikaturen: Ein Arbeiter steht in einer Baugrube und schaufelt, um ihn herum stehen weitere zehn Personen, die nicht arbeiten, sondern lediglich zuschauen – die sinnbildliche Darstellung  eines weitverbreiteten organisatorischen Wasserkopfes in den Funktionen von Managern für Human Ressources, Marketing, Logistics, Communication, Security, Project, PR, etc. Die angestrebte Ganzheitlichkeit verkam und verkommt zu einer Fragmentierung der Welt und der Arbeitswelt und der Architektur im Besonderen.

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Die nächste Karikatur erläutert uns die «Zusammenarbeit» eines Bauherrn mit seinem Architekten: In sechs anschaulichen Schritten wird am Beispiel einer Schaukel, von welcher der Bauherr wünscht, dass sie an einem Ast eines Baumes aufgehängt werden soll, dargestellt, wie so ein Prozess leider in allzu vielen Fällen abläuft. Der Wunsch des Bauherrn wird vom Architekten aufgenommen – und auf dessen ihm eigene Art interpretiert. Der Statiker muss wegen der Stabilität des Asts auch einbezogen werden, und die notwendige Genehmigung der Baubehörde hat ihre gestalterischen Konsequenzen. Der ausführende Unternehmer hat zu guter Letzt auch seine herstellungsmässigen Limiten, und so hat am Schluss – nach der unmittelbar notwendig gewordenen Sanierung – der Bauherr keine Schaukel, sondern eine Wippe auf dem verbliebenen Baumstrunk > Link. Diese zweite Karikatur veranschaulicht aufs vortrefflichste die Tragik, die sich in unendlich vielen Fällen täglich abspielt, dass nämlich der Bauherr nicht das bekommt, was er sich wünscht und sucht, weil sich im Prozess des Entstehens und Werdens so viele Missverständnisse anhäufen, die nicht ausgeräumt werden können.

Dieser Diskrepanz ist sich Michael Högger bewusst, und er baut ihr vor: Im Rahmen des Hausvereins Bern bietet er unter dem Stichwort ‚ «Zum ersten Mal Bauherr / Bauherrin sein» Kurse für angehende Bauherrinnen und Bauherren an > Link Dort zeigt er in rund zwei Stunden auf, was auf die Bauwilligen alles zukommt, mit was sie sich sinnvollerweise auseinandersetzen müssten, um die obige Karikatur nicht zum Albtraum werden zu lassen.  Auf die konkrete Nachfrage hin, wie er mit dieser Spannung umgehe (Wünsche des Bauherrn versus Mögliches: Vorschriften, Vorstellungen und Geld), hat er seine eigene, in vielen Jahren sich entwickelte Meinung: «Die Leute bekommen nicht das was sie wollen – sondern das was sie verdienen!» Das tönt im ersten Moment hart, aber beim Nachdenken tauchen dann selbsterlebte Bilder von Bauherren auf, die sich nicht einbinden liessen in den Prozess, sondern alles besser wussten – und am Schluss dann das erhielten, was sie eben verdienten!

Michael Högger lässt uns dann noch teilhaben an seinem Vorgehen im Rahmen einer intergralen Planung, in der sogenannten «Substanzentwicklung». Er unterscheidet dabei die Begriffe: Objekt, Organisation, Umfeld und Mensch. Zu jedem dieser Begriffe gibt er Hinweise, was alles dazu gehört, was als Rahmenbedingungen ausgelotet und berücksichtigt werden muss – wenn das Werk in allen Teilen gelingen soll und der Bauherr dann das bekommt, was er sich gewünscht hatte – und nicht nur das, was er «verdiente»!

Dies alles ist noch im Perspektivischen verwurzelt. Das ist die aktuelle Wirklichkeit. Auf dem Weg zum Aperspektivischen – als quasi Zwischenstufe – führt Michael Högger für sich einen eigenen Begriff ein: Aspektivisch.

Das  Aperspektivische in der Architektur wird dann nicht mehr so ausführlich dargestellt. Michael Högger räumt ein, dass er den Ausführungen von Jean Gebser im Kapitel «Ursprung und Gegenwart» zum Thema Architektur nicht durchwegs folgen kann. Oder anders gesagt: dass sich ihm gewisse Aussagen noch nicht erschlossen haben. 

Als Quintessenz könnte man sagen: Es gibt nicht mehr ausschliesslich «richtig» oder «falsch», sondern man sollte sich ausrichten nach der Frage: «Was stärkt bzw. was  schwächt die Situation?» Die Herausforderung für den Architekten erstreckt sich dann über eine reine Arbeitsbeziehung zum Bauherrn hinaus auf eine neue Dimension des gegenseitigen «Bewusst-Seins bzw. -Werdens» – und das könnte ein erster Schritt auf dem Weg zum Intergralen, zum Aperspektivischen in der Architektur sein.

Ein lang anhaltender Applaus verdankte die anschauliche Präsentation. Ein dankbares und teilweise auch nachdenkliches Publikum vertiefte sich noch in die am Boden ausgelegten Blätter, bevor Michel Högger zum Abschluss des Anlasses dieses Mandala wieder zurück baute.

Ein weiteres gelungenes Gebsertreffen, das den Zuhörern einen vertieften Einblick in die Arbeit eines Mitgliedes unserer Gesellschaft verschafft hat. Herzlichen Dank an Michael Högger.

Hunziker Sam B.


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